Part eins
Hier wird die Geschichte des Phoenix Barden in Textform ständig weitergeführt. Die Geschichte wird begleitet und ergänzt durch die musikalische Umsetzung, z. B. vom „Vampir“ oder auch anderen Protagonisten. Die Songs zeigen Schicksale und Emotionen, die oft nur durch Musik und Melodien nachempfunden werden können. Und das ist das Ziel des Phoenix Barden: Die Geschichte vollständig erlebbar machen. In Zukunft kann dies auch durch Illustrationen oder gar Hörspielen geschehen. Wer weiß wo uns der Phoenix Barde hinführt?
Wir begleiten und helfen ihm im Kampf gegen den Rabenkönig!
Part 1 könnt Ihr nun auch bequemer als Flipbook lesen (einfach rechts oben auf „Vollbild“ klicken):
Tipp: Dieses nette Büchlein gibts bei unseren Konzerten. Aus Papier! Gedruckt!
Inhaltsverzeichnis
Prolog
150 Jahre später
Der Vampir
Der Auftrag
Der Barde und der Herr der Zeit
Im Jenseits
Flucht vom Knochenschiff
Der Phoenix Barde
Der Kampf beginnt
Der Sieg des Rabenkönigs
Epilog
Letztes Update am 17.01.2024
Prolog
In einer Werkstatt, in der zahllose Uhren tickten und ein tosender Wind unablässig Regen an das Fenster peitschte, dort inmitten all dem, saß ein Mann. Ein sehr alter Mann, der sich mit seinem grauen Dreitagebart und einer Lupenbrille auf dem Kopf einer goldenen Taschenuhr widmete. Die Uhren tickten in einem monotonen Rhythmus, der ihm offensichtlich sehr gefiel. Immer wieder sah er auf und lächelte beim Anblick seiner vielen verschiedenen, die Zeit messenden, Schätze. Er summte gern bei der Arbeit und unterbrach dieses nur, um einen Schluck Tee aus einem alten Porzellankrug zu nehmen. Doch plötzlich spürte er einen kalten Luftzug und hörte, wie der Wind die nassen Regentropfen auf den hölzernen Fußboden seiner Werkstatt trieb.
Er räusperte sich und sprach: „Was verschafft mir die Ehre?“ Gleichzeitig ließ er seinen Blick nicht von der Taschenuhr ab. Eine dunkle Gestalt mit glühend roten Augen trat näher an den alten Mann heran. „Du weißt, was ich will!“, sprach die Gestalt mit eindringlicher Stimme. Der Mann seufzte, legte sein Werkzeug beiseite und schob die Gläser seiner Lupenbrille langsam und bedeutungsvoll hoch.
Er drehte sich zu der Gestalt um und sprach: „Ich sagte es Dir bereits, mein lieber Rabenkönig. Du tätest gut daran, deine Schatten und Monster zu regieren und mich nicht zu behelligen. Und nun verlass mein Haus!“ Daraufhin lächelte der Rabenkönig, sodass seine Zähne weiß aufblitzten. „Ist das die Art, wie man mit seinen Kindern umgeht, Vater?“, entgegnete er süffisant und breit lächelnd. Die Miene des alten Mannes verfinsterte sich und er fuhr in die Höhe und sprach erbost: „Du bist nicht mein Sohn. Du bist nichts weiter als dunkle Magie. Ein Irrtum, welchem durch das schwarze Buch ein zu langes Leben eingehaucht wurde!“
„Schau an“, lachte der Rabenkönig, „der Herr der Zeit hat Temperament!“ Er ging langsam und schweren Schrittes um den alten Mann herum. „Deine Zeit ist abgelaufen“, flüsterte er dem Herrn der Zeit bedrohlich zu. Dieser wiederum begann lauthals zu lachen. „Diese Macht besitzt Du nicht“, zischte er, während er den Rabenkönig eindringlich musterte. Der Rabenkönig entgegnete leise und bedrohlich: „Ich nicht. Aber er!“ Langsam betrat eine weitere Gestalt die Werkstatt und ein beißender, schwefeliger Geruch begann sich im Raum zu verteilen. „Sei gegrüßt, Herr der Zeit“, sprach die Gestalt. Die Augen des alten Mannes weiteten sich vor Schreck und er sprach mit bebender Stimme: „Zum Teufel mit Dir!“
150 Jahre später
Dunkelheit hatte das Land Nimara ergriffen. Unter der schrecklichen Herrschaft des Rabenkönigs wuchs die Wut und die Verzweiflung der Menschen mit jedem Tag. Durch unzählige Gräueltaten und nichts als verbrannte Erde hinterlassend, ahnte niemand, wohin die dunkle Hand des Rabenkönigs als nächstes griff. Die Hoffnung schwand mit jedem Tag und mit jeder armen Seele, der es nicht gelang, den Schergen des Rabenkönigs zu entkommen. Tapfer verteidigten die Menschen Städte und Dörfer, doch selbst Mutter Natur begann zu wehklagen und schreckliche Stürme und Beben wüteten über die Welt. Es war eine Zeit voller Leid und Not.
Durch die Schreie der Welt in seinem Schlummer unterbrochen, tief verborgen am Ende der Zeit, regte sich eine uralte Präsenz. Der Herr der Zeit, welcher einst vom Rabenkönig hintergangen und mit des Teufels Hilfe in einen magischen Schlaf versetzt wurde, erwachte plötzlich. „Wo bin ich?“, fragte er sich, als er sich den dichten trockenen Staub aus seinem zerfurchten Gesicht rieb. „Warum höre ich meine Uhren nicht mehr? Warum höre ich nichts mehr?“
Er stand langsam auf und er spürte, wie seine einst so große Macht ihn verlassen hatte. Sehr langsam und mit großer Anstrengung schlurfte er über den knarzenden Boden seiner Hütte. Er schaute sich um und betrachtete die Uhren, welche hinter dichten Spinnweben, nur noch durch ein leichtes Funkeln ihrer Zeiger zu erkennen, auf ihn hinabblickten. Schockiert und zitternd ertönte nach einer unendlich langen Zeit seine Stimme: „Meine Uhren! Sie…, sie sind alle stehen geblieben.“ Verschwommene Erinnerungen durchfluteten seinen Geist und plötzlich, spürbar im gesamten Haus, begann sich etwas zu verändern. Dem Herrn der Zeit überkam ein Gefühl von Wut und Hass. Tief in ihm loderte ein Feuer, ein inneres Chaos erwachte und urplötzlich begannen die Spinnweben in Flammen aufzugehen. Er riss eine seiner Uhren von der Wand und betrachtete sein Spiegelbild. „Dafür wirst du bezahlen, Rabenkönig! Ich werde Dich büßen lassen!!!“ Doch im selben Augenblick spürte er, dass seine Kraft nicht reichen würde.
„Das Buch?“, rief er. „Wo ist mein Buch?“. Er betrat eine Ecke seiner Kammer und wühlte in den Trümmern seiner einst so geliebten Werkbank. Doch außer morschem Holz und Unrat fand er nichts. So bald wurde es ihm klar. „Sie haben es…“, keuchte er. Tobend vor Wut, schleuderte er ein Stück des einst prächtigen Tisches von sich. Mit der Erkenntnis, nicht mehr im Besitz des schwarzen Buches zu sein, stand er auf und ging zu einer alten Karte an der Wand. Er pustete den Staub hinfort und wischte mit seinen zerlumpten Mantel-Resten den Schmutz von der Karte. Zum Vorschein kam eine kaum sichtbar markierte Stelle.
„Da bist du ja!“ sagte der Herr der Zeit. Als er seinen Finger von der Karte hob, wurde eine Fangzahn ähnliche Markierung sichtbar. Der Herr der Zeit lächelte und sagte zu sich selbst: „Ich befürchte, ich muss einer weiteren ungeliebten Schöpfung einen Besuch abstatten.“ Als er sich umwandte, fiel ihm ein uraltes Schriftstück ins Auge. Eine alte städtische Proklamation dachte er bei sich. Er begann laut zu lesen: „Kein Ausgang nach Sonnenuntergang! Achtung! Lebensgefahr!“ Sein Mund verzog sich zu einem Grinsen.
Der Vampir
Leichte Nebelschwaden zogen über die Docks. Die Sonne überschritt bereits ihren Zenit und warf ihre letzten Strahlen auf den kleinen Hafen der Stadt Sternenbucht. Die Glocke des Hafenmeisters erklang und deutete die Ankunft eines neuen Schiffes an.
Das Schiff näherte sich der immer dunkler werdenden Anlegestelle und Matrosen eilten zur Reling und warfen ihre Taue von Bord. Andere eilten geschäftig über das Deck und schlossen die letzten Vorbereitungen zum Löschen der Ladung ab. Ein schwerer Anker löste sich und glitt langsam doch kraftvoll ins dunkle Hafenbecken. Da trat ein alter Mann an die Reling und sah sich um.
Der Herr der Zeit seufzte, straffte seinen Mantel und sog naserümpfend die Luft ein. „Bah! Dieser Gestank“, gab er gereizt von sich. Es war eine lange, beschwerliche Reise und er empfand, dass Schiffe eine unbequeme Art der Fortbewegung waren. Seine müden alten Knochen schmerzten. An manchen Stellen sogar noch schlimmer als nach seinem ungewollten Schlaf. Die Matrosen legten die Leitplanke aus und er ging schweren Schrittes von Bord. Als er den Anlegesteg erreichte, war er erleichtert, denn er stand mit seinen Füßen endlich wieder auf festem Boden. Er rückte seine Brille zurecht und zog eine Uhr aus seiner schwarzen Westentasche. „Mein Herr“, erklang es von der Seite, als er die Uhr in seiner Hand betrachtete. „Ihr solltet schnell eine Unterkunft für die Nacht suchen. Nach Sonnenuntergang ist es hier nicht mehr sicher.”
Der Herr der Zeit drehte sich in Richtung der Stimme und erblickte einen jungen Mann. Er machte einen sehr zerlumpten Eindruck und seine Kleidung war an vielen Stellen zerrissen. Seine Haare waren leicht verfilzt und er trug einen alten schäbigen Mantel. „Ist das so, mein junger Freund?“, entgegnete der Herr der Zeit, während er den jungen Mann abfällig musterte. Dieser nickte und sagte: „Ich kann euch schnell zu einem Gasthaus führen. Es kostet euch auch nur ein Kupferstück.“ Während der junge Mann dies sagte, glomm ein gieriges Funkeln in seinen Augen. Dem Herrn der Zeit entging nicht, wie die Hand des Mannes unablässig über etwas an seiner Hüfte glitt. Er kniff die Augen zu und er erkannte, kaum deutlich, ein schwaches metallisches Funkeln. Er begann langsam und zustimmend zu nicken. „Nun gut. Dann gib mir einen Moment, um meine Habe zu holen. Ich bin nicht mehr der Jüngste, musst du wissen“, sagte der Herr der Zeit und ging bedächtig wieder in Richtung des Schiffes.
„Nein, nein, mein Herr“, sprach der junge Mann aufgeregt, „Ihr müsst sofort mitkommen! Nach Einbruch der Dunkelheit treibt hier etwas schreckliches sein Unwesen. Es ist viel zu gefährlich!“ Der Herr der Zeit ignorierte die Warnung und machte eine lässig abwinkende Geste. Im nächsten Moment ertönte ein dumpfes Geräusch. Der junge Mann stöhnte schmerzverzerrt auf und etwas Feuchtes tropfte auf den steinernen Boden des Hafens. Der Herr der Zeit wandte sich langsam um. Eine schlanke Gestalt umschlang den jungen Mann und scharfe Reißzähne vergruben sich tief in seiner Kehle. Der Herr der Zeit sah zu, wie das Leben aus den Augen des jungen Mannes wich. „Du hast dir ja ganz schön Zeit gelassen, um Deinen Vater zu begrüßen“, sprach der Herr der Zeit belustigt. Die Augen der Kreatur, die noch gierig an ihrer Beute hingen, trafen auf die des Herrn der Zeit. Erst blass gelb, verfärbten sie sich blutrot und mit einem zornigen Brummen warf die Kreatur ihre Beute ins Hafenbecken.
„Na, na…? Wo sind denn Deine Manieren?“, sagte der Herr der Zeit und beobachtete, wie der leblose Körper im Hafen versank. Aus seinen Augenwinkeln bemerkte er, wie die Kreatur sich zu regen begann. Grollend zischte sie: „Nenn mir einen Grund, warum ich dich nicht auf der Stelle in Stücke reißen sollte?“Sie begann sich mit raubtierhaften Schritten zu nähern. „Wahrscheinlich, weil ich der Einzige bin, der Dich erlösen kann?“, antwortete der Herr der Zeit mit einem süffisanten Unterton. Schlagartig blieb die Kreatur stehen. Die Augen blutrot und bösartig funkelnd, begannen langsam wieder einen blassgelben Ton anzunehmen. Ein leichter Hoffnungsschimmer lag in ihnen. „Sprich! Alter Mann. Was willst du?!“ Der Herr der Zeit lächelte diabolisch. „Es hat lang gedauert, dich zu finden“, sagte er, „Ich habe einen Auftrag. Genau das Richtige für jemanden mit deinen Fähigkeiten.“
Der Auftrag
Als die Dunkelheit hereinbrach, herrschte reges Treiben in den Straßen. Die Menschen hörten zwar Gerüchte über ein Monster, welches nachts sein Unwesen trieb, aber hier inmitten des Marktplatzes war von Angst nichts zu spüren. Auch von den Schrecken, welche der Rabenkönig der Welt brachte, redete man bisher nur hinter vorgehaltener Hand. Zwischen all den Fackeln, schreienden Markthändlern und einer so greifbar ausgelassenen Stimmung, fühlten sich die Menschen sicher. So dachten sie jedenfalls.
Der Vampir hasste das Lachen, hasste das grelle Flackern der Fackeln und er verabscheute die lauten Stimmen der Menschen. Er saß in einer dunklen Ecke und wartete. Immer wieder fragte er sich, warum er diesem alten Scheusal wieder und wieder zu Diensten war. So viele Jahrhunderte versprach der Herr der Zeit ihn von seinem Fluch zu erlösen. Und immer wieder brach er dieses Versprechen. „Stets erfülle ich ihm seine Wünsche und nie hat dies ein Ende“, grollte er in sich hinein. „Ein letztes Mal. Dann kann ich wieder Viktor sein und ein langweiliges Buchhalter Leben führen“, dachte er sich. Er wollte wieder ein Mensch sein und in der Sonne wandeln können. Er wollte ein langweiliges Leben, fernab von Dunkelheit und Blut, führen. Und alles, was dazu fehlte, war ein letzter Auftrag.
Stunden vergingen. Als der Vampir langsam ungeduldig wurde, vernahm er einen süßlich blumigen Duft. Das vertraute Klopfen eines jungen starken Herzens drang an seine Ohren. Seine Augen begannen rot zu funkeln. „Endlich!“, zischte er. Begleitet von mehreren Wachen der königlichen Garde, beobachtete er, wie die junge und äußerst schöne Prinzessin den Marktplatz betrat. Sie war ein wunderschönes, freundliches und warmherziges Wesen. Ihr Lächeln vermochte selbst die größte Kälte aus dem Herzen eines Menschen zu verdrängen. Mit Bewunderung und mit großer Zuneigung versammelte sich eine große Menge um die Gruppe. Ein junger Mann mit einer Laute trat aus der Menge heraus und verbeugte sich tief.
„Eure Hoheit?! Eure Schönheit lässt unsere bescheidenen Herzen höherschlagen.“ Lächelnd fuhr er fort: “Würdet Ihr mir gestatten, Euch ein Lied zu spielen? Ich schrieb es nur für Euch und es wäre mein sehnlichster Wunsch, dass Ihr es hört!” Der Hauptmann der königlichen Wache trat vor. Mit festem Griff um den Knauf seines Schwertes, deutete er mit der freien Hand zur Seite. „Scher dich fort, Vagabund!“ rief er. Doch da schritt die Prinzessin ein und rief: „Haltet ein, Hauptmann“. Die Prinzessin lächelte verlegen. „Ganz schön dreist junger Barde“, sagte sie. „Aber ich bin geschmeichelt und höre gern euer Lied“. Ihr Mund verzog sich verschmitzt. „Ich hoffe aber, euer Lied entzückt mich, sonst lasse ich euch von Hauptmann Grimmwald in den Kerker werfen!“
Der junge Barde verbeugte sich erneut und räusperte sich: „Habt Dank Eure Hoheit!“ Zum Zeichen ihrer Gunst streckte die Prinzessin ihre Hand nach vorne und der Barde berührte ihre Hand leicht mit seinen Lippen. Der Hauptmann zischte erbost: „Eure Majestät! Ich muss doch bitten.“ „Schon gut, Hauptmann! Der junge Mann und ich sind uns bereits bekannt. Er weilt seit Monaten in der Stadt und hat bereits meinen Vater, den König, mit seinen Liedern erfreut.“ Der Hauptmann schaute etwas zerknirscht zu Boden: „Sehr wohl, Eure Hoheit“. Daraufhin äußerte sich der junge Barde: „So kommt, lasst mich Euch zu einem ruhigeren Ort geleiten. Die Prinzessin nickte und ihre Wachen machten den Weg frei. Währenddessen saß der Vampir immer noch unruhig an Ort und Stelle. Er beobachtete das ganze Schauspiel voller Ungeduld und war von dieser kleinen zierlichen Frau ganz fasziniert. In ihm begann der Hunger zu wachsen. Kurz darauf verschwand der junge Barde mit der Prinzessin in einer stillen Gasse. „Na endlich“, flüsterte der Vampir. Klappernd hallten schnelle Schritte durch die Gasse. “Komm beeil dich”, sprach die Prinzessin. Schwer atmend erwiderte der Barde: “Warte! Ich denke wir sind weit genug entfernt. ”Die Prinzessin blieb stehen und blickte sich um. Sie wandte sich um und nickte. Der Barde lächelte.
„Du willst mich in den Kerker werfen lassen?“, fragte er vorwurfsvoll, „Natürlich!“, antwortete die Prinzessin mit einem schelmischen Unterton. Sie musterte den Barden mit hochgezogener Braue. Ganz langsam näherte sie sich. Sie beugte sich leicht über und raunte: „Falls Du mich nicht sofort küsst!“ Der Barde lächelte und kam dieser Aufforderung sichtbar erfreut nach.
Langsam pirschte sich der Vampir über ein nah hervorstehendes Dach an das Paar heran. Voller Vorfreude atmete er den Duft der Prinzessin ein. Er sah zu, wie die beiden Liebenden sich innig küssten und spähte zu beiden Seiten der Gasse. „Jetzt oder nie“, dachte er sich. Langsam lösten sich ihre Lippen. „Endlich! Wurde aber auch Zeit“, sagte die Prinzessin seufzend. „Ich hielt es keinen Tag länger im Schloss aus“, fuhr sie fort.“ Endlich ist der Tag gekommen, unseren Plan in die Tat umzusetzen ”, stimmte der Barde nickend zu. „Isabell ich…” setzte der Barde an, als sich im nächsten Moment ein Schatten über die beiden legte. Geschockt sah Isabell, wie ein Schemen ihren Liebsten gegen eine nahe Häuserwand schleuderte. Es passierte so schnell, dass ihre Augen dem Geschehen nicht folgen konnten. Und nur verschwommen nahm sie wahr, wie sich etwas Funkelndes ihrem Hals näherte. Sie fühlte einen heißen Schmerz und Wärme breitete sich in ihrer Kehle aus. Sie tastete nach ihrem Hals und hob zitternd die Hand vor die Augen. Erschrocken sah sie das Blut und plötzlich begann sich die Welt zu drehen. Das Atmen fiel ihr schwer und ihre Beine gaben nach. Etwas packte sie und hielt sie aufrecht. Sie spürte einen Atem an ihrer Kehle und stöhnte vor Schmerz auf, als kurz darauf etwas tief in ihren Hals biss. Laut drang das Saugen und Schmatzen an ihr Ohr, bis es mehr und mehr von dem Geräusch ihres laut pochenden Herzens verdrängt wurde und sie das Bewusstsein verlor.
Der Vampir keuchte frohlockend auf. Er wischte sich mit seinem dunklen Saum über die Lippen und legte sich anschließend die bewusstlose Prinzessin über die Schulter. Er schritt an dem bewusstlosen Barden vorbei und zog ein Messer. Kurz wischte er es am blutgetränkten Kleid der Prinzessin ab und ließ es zu Boden fallen. Dann lächelte er und sprang geschmeidig auf das nächstgelegene Dach.
Über die Dächer gleitend, trug er die Prinzessin bis an den Rand der Stadt und sprang geschmeidig über die Stadtmauer. Nachdem er die Stadt eine Weile hinter sich gelassen hatte, erreichte er einen See. Die Prinzessin immer noch in den Armen haltend, schritt er langsam ins kalte Wasser. Er betrachtete sie und ihm fiel auf, dass ihre Haut weiß wie Schnee geworden war. Ihr Atem ging rasselnd und als das Wasser ihre Haut berührte, öffneten sich ihre Augen. Sie zitterte am ganzen Leib und kraftlos versuchte sie ihre Hände zu heben. Er ließ sie langsam ins Wasser gleiten. „Lass los!“ sagte er liebevoll. „Es ist in Ordnung. Niemand wird dir mehr wehtun.“ flüsterte er ihr zu, während er behutsam ihre Hand in seine nahm. Ein Film aus Blut bildete sich auf der Wasseroberfläche und beides begann sich zu vermischen. Er ließ sie los. Die junge Frau, mit Haut so weiß wie Schnee, starrte ein letztes Mal in den sternenerfüllten Himmel und versank lautlos im tiefen dunklen Wasser.
Der Barde und der Herr der Zeit
Die Nacht war kühl und die Sonne bereits seit einigen Stunden untergegangen. Ein eisiger Wind blies durch die leeren Gassen der Stadt. Sie wirkte wie ausgestorben. Von hoch oben über der Stadt drangen Rufe und schon von weitem sah man ein Lichtermeer aus Fackeln. Dort auf einer Anhöhe befand sich Schloss Flügelwind. Eine große Menschenmasse hatte sich tobend und fackelschwingend vor den Toren des Schlosses versammelt. Nur mit größter Mühe konnte sie von den Wachen des Königs zurückgehalten werden. „Tötet ihn“, schrien vereinzelte Stimmen aus der Menge. Beschwichtigend hob die vorderste Wache ihre Hände. „Bürger von Schwingenfels, so beruhigt euch. Die Gerechtigkeit des Königs wird nicht lange auf sich warten lassen. So habt Geduld“, sprach er mit erhobener Stimme.
Währenddessen, direkt hinter den Toren des Schlosses und hoch über der Menge, ragte der Kerkerturm auf. Weit oben, aus einem kleinen Fenster, drang schwacher Feuerschein. Innerhalb des Turms, inmitten von Gitterstäben umringt, kauerte eine Gestalt dicht unter dem Fenster. Die Gestalt trug abgerissene Kleider und war mit zahllosen Wunden übersät. Mit tief versunkenen Kopf wimmerte diese in sich hinein. Immer wieder drangen von draußen vereinzelte Rufe bis durch das Fenster der Zelle. Sie verlangten nach seinem Tod. Es ging alles so schnell, dachte er sich. Der Barde berührte leicht seine Verletzungen im Gesicht. Er stöhnte auf. „Wieso kann ich mich an nichts erinnern?“, brachte er schließlich schluchzend hervor. In einem Augenblick küsste er seine Liebste und im nächsten wurde er von den Wachen des Königs in Ketten gelegt. Er spürte deutlich die Spuren, welche die Fausthiebe des Hauptmanns in seinem Gesicht hinterlassen hatten, und erinnerte sich schmerzhaft daran, wie sich dessen Faust immer und immer wieder in seinem Gesicht vergrub.
„Was hast Du mit ihr gemacht? Rede, du gottloser Straßenköter, rede!”, hämmerte es immer noch in seinen Ohren. Es war alles so verschwommen. Kurz bevor er das Bewusstsein verloren hatte, konnte er sich noch entsinnen, wie andere Wachen den vor Hass tobenden Hauptmann von ihm zerrten. Andernfalls, so war er sich sicher, wäre er jetzt sicherlich nicht mehr am Leben. Noch immer schmerzte ihm der Kopf und das Denken fiel ihm schwer. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen, bis auf einen.
Seine Liebste war tot. Er wusste nicht, was geschehen war und er konnte sich nur verschwommen erinnern. Ein festes Klopfen an der Zellentür riss den Barden aus seiner Gedankenwelt. „Du hast Besuch, Mörder!“, sagte eine Wache. Klirrend öffnete sich die Zellentür und König Versius der III. trat langsam in Begleitung seiner Leibwache ein. Der Barde sah an sich herab und machte schnell den müden Versuch, sein blutverkrustetes Gewand zu richten. Eine der Wachen trat vor und stellte in einigem Abstand einen Stuhl vor ihn. Der König trat zum Stuhl und setzte sich schließlich, dabei glitt sein Blick nicht von dem des Barden.
Versius hatte bereits seine besten Jahre hinter sich gelassen. Er war ein großer breitschultriger Mann mit lichter werdendem Haar, das bereits an vielen Stellen ergraut war. Noch vor kurzem strahlte er eine Vitalität und Stärke aus, wie man es selten an jemandem seines Alters sah. Doch an diesem Abend saß er gebeugt vorn über und sah älter aus als je zuvor. Lange saß er da und beobachtete den Barden schweigend. Dann, ganz langsam hob sich eine Hand und deutete in Richtung der Pritsche. Der Barde stand schwerfällig auf. Er starrte auf die von Unrat verdreckte Pritsche. Er zögerte, doch schon im nächsten Moment stieß ihn eine der Wachen unsanft nieder. Unter Schmerzen richtete der Barde sich wieder auf und konnte sich unter großen Mühen schließlich aufrecht hinsetzen.
So saßen sich nun König und Barde Auge in Auge schweigend gegenüber. Bald konnte der Barde nicht länger den Blick aufrecht halten und sah zu Boden. Daraufhin räusperte sich König Versius der III. und sprach: „Als Isabell klein war…”, begann er „…hatte sie ein sehr hohes Fieber und unsere Heiler konnten nichts für sie tun. Sie sagten…“, er stockte. „…sie sagten, dass sie die folgenden Tage nicht überleben würde”. Versius Hand begann zu zittern und er machte ein gequältes Gesicht. Langsam stand er auf und schritt zum Fenster. Sein Blick wanderte durch den Innenhof und er beobachtete, wie seine Diener mit Hilfe der Pferde den Galgen zur Mitte des Platzes zogen. „Ich entsandte Boten, die das ganze Land nach einem Heilmittel durchkämmen sollten”, sagte er schließlich in die Stille hinein. „Ich weilte Tag und Nacht an ihrem Bett und hielt ihre Hand. Stunde um Stunde und immer mit der Angst, dass jeder Atemzug ihr letzter sein könnte. Kein Vater sollte so etwas je durchleben müssen.“
Er atmete tief durch und fuhr fort. „Dann, nach drei Tagen, kam ein Bote von der Reise zurück und brachte eine ungewöhnliche Medizin”, er ließ den Blick weiterhin durch das Fenster schweifen. „Doch sie half und meiner kleinen Isabell ging es bald darauf besser.“ Seine Lippen verzogen sich zu einem verzerrten Lächeln. „…und ich dankte allen Göttern für diese Gnade!“, ergänzte er gequält. Der Barde, immer noch wie betäubt, blickte zum König und er sah das Lächeln. Ein Lächeln voll Trauer und Schmerz. „Warum erzähle ich euch dies, denkt ihr jetzt bestimmt“, fuhr er mit zitternder Stimme fort. Der Barde starrte wieder zu Boden und konnte nichts erwidern. Der König wandte sich um und seine Miene verfinsterte sich. Schlagartig erhob er seine Stimme: „Weil ich 1000 Boten losschicken könnte!… und niemand…!“ schrie er. „Niemand! … könnte mir ein Heilmittel für den Tod! bringen“. Tränen bildeten sich in seinen Augen und er sackte in sich zusammen. „Verstehst Du das?!”. „VERSTEHST DU DAS?!!!“, schrie Versius und Speichel flog dem Barden ins Gesicht. Der König sank wieder auf den Stuhl und schluchzte. Der Barde antwortete leise und noch immer unter Schock stehend: „Aber eure Majestät?! Ich schwöre euch. Ich schwöre, ich weiß nicht… Ich weiß nicht, was der Prinzessin zugestoßen ist. Ich kann mich an nichts erinnern, aber so hört mich an.“ Er atmete tief durch, „Ich weiß nur, wie ich in der Gasse aufwachte und dann…“. „Schweigt!“, unterbrach ihn der König. Der König blickte zu seinen Wachen und zwischen ihnen trat ein Mann hervor. Er reichte dem König einen in einem Tuch verhüllten Gegenstand. Der Mann war in ein wertvoll verziertes Gewand gekleidet und der Barde erkannte ihn als den Kämmerer des Königs.
Der König warf das Tuch zu Boden und zum Vorschein kam ein Dolch. „Deine Lügen werden dir hier nichts nützen!”, sprach der König. “Wir haben den Beweis“. “Dutzende Augen konnten bezeugen, wie du Isabell aus dem Schutz ihrer Wachen in eine Gasse führtest.” Versius Blick verharrte auf dem Dolch. Er blickte auf das bereits getrocknete Blut an der Klinge. Sein Blick wurde zornig und er straffte sich. Schließlich löste er den Blick und sah auf den Barden herab. “Ich ließ die Wachen die gesamte Stadt durchkämmen und als wir keine Spur von meiner Tochter fanden, befragten wir die Stadtbewohner“, sagte er. “Schließlich fanden meine Wachen jemanden, der sah, wie du die Prinzessin aus der Stadt brachtest“, fuhr er mit zitternder Stimme fort. “Kurz darauf fand man sie…“, er stockte. „Tot…mit durchgeschnittener Kehle trieb sie im Wasser…” Stille legte sich über den Raum. Die Worte des Königs schnürten dem Barden die Luft weg und ihn verließ jeglichen Mut. Der König holte tief Luft und mit lauter hasserfüllter Stimme sprach er nun: „Höre mein Urteil, Barde! Du wirst hängen und ich werde deinen Leichnam anschließend zerteilen und an den Burgmauern aufspießen lassen, so dass deine Überreste Futter für die Krähen werden!“
“Du sollst verflucht sein! Kein Grab wird dir zuteil und deine Seele soll niemals Ruhe finden!” Der König reichte den Dolch wieder seinem Kämmerer, trat vor den Barden und spuckte diesem ins Gesicht. Danach drehte er sich wortlos um und verließ die Zelle, mitsamt seinen Wachen. Während sie die Zelle verließen, löschte der Kämmerer die Fackel und sagte kalt: “Verbringe deine letzte Nacht in Dunkelheit, Mörder!” Die Zellentür flog mit Wucht ins Schloss und der König schritt mit seinem Gefolge Richtung Treppe. Nach einer Weile erlosch auch der letzte Fackelschein. Des einzigen letzten Lichtschimmers beraubt, saß der Barde nun wieder allein in seiner Zelle. Es war kalt und unbequem. Er hob den Blick zum Fenster, doch draußen schien man die Vorbereitungen bereits abgeschlossen zu haben, sodass nun auch kein Licht von außen seine Zelle erleuchtete.
Plötzlich aus einer Ecke der Zelle erschallte ein finsteres Lachen. Der Barde schrak hoch und blickte sich um. Doch die Dunkelheit war nun vollständig und zu sehen war nichts als tiefste Schwärze. „Wer… Wer ist da?“, sprach er ängstlich. „Spielt das eine Rolle?“, antwortete eine Stimme. Der Barde, wie vor Angst gelähmt, starrte in die Dunkelheit und erwiderte erneut voller Angst: “Wer spricht da?“ „Sieh‘ mich als einen Freund, als Helfer und deinen zukünftigen Herrn”, sprach die Stimme erneut. Die Stimme war plötzlich näher als zuvor. „Meinen Herrn?”, wiederholte der Barde immer noch panisch den Kopf in alle Richtungen wendend. Dann nahm er allen Mut zusammen und schrie in die Dunkelheit: “Wo bist du?Zeig dich, Dämon!“ Etwas im Raum begann leicht zu schimmern und tauchte die Zelle in ein schwaches pulsierendes Leuchten. Tief aus dem Schatten nahe dem Fenster erschien das Gesicht eines alten Mannes und grinste diabolisch. „Ich hörte von deiner misslichen Lage, mein junger Freund
Soweit ich weiß, wirst Du morgen gehängt, hm?” “Was seid ihr?!”, erwiderte der Barde vor Angst zitternd. “Seid ihr ein Dämon?” Aber die Erscheinung ignorierte ihn und fuhr gelassen fort. “Und wenn ich anmerken darf, wirst du nach deinem Ableben, wie mir scheint, quer über die Burgmauern verteilt.“ Bei diesen Worten drehte sich dem Barden der Magen um und er wich zurück. „Aber, aber“, lachte der alte Mann. „Das muss ja nicht sein“, fuhr er fort. „Ich biete dir an, niemals sterben zu müssen. Dazu ewiges Leben und besondere Kräfte, die es dir ermöglichen, dich am wahren Mörder und …nun ja, an wem es dir auch immer beliebt, zu rächen”, spöttelte er. “Im Gegenzug erwarte ich nur, dass du dich um ein kleines Problem kümmerst.“ Während die Stimme sprach, schaute der Barde gebannt auf die Gestalt. Er war sich noch immer nicht sicher, welches Hexenwerk hier vor sich ging, doch sein Schicksal vor Augen erwachte eine schwache Hoffnung. In absoluter Trauer und Verzweiflung griff er nach diesem scheinbar letzten Ausweg. „Ein kleines Problem?“, entgegnete der Barde.
„Was für ein Problem?“ „Du wirst den Rabenkönig töten und mir mein Eigentum wiederbringen”, antwortete der alte Mann. Der Barde starrte die Erscheinung sprachlos an. Dann drang, ohne dass er etwas dagegen tun konnte, ein ungläubiges Lachen aus seiner Kehle. „Den Rabenkönig?! Töten… ?“, gluckste er wie von Sinnen. Das Gesicht des alten Mannes näherte sich und sagte: „Ja, töten. Außerdem hat er ein Buch in seinem Besitz, welches mir gehört.“ Der Barde lehnte sich an die Zellwand und glitt langsam zu Boden. „Ist dies euer Ernst?“ fragte er die Gestalt. “Den Rabenkönig? Sonst noch etwas, das für euch tun soll?”, lachte der Barde nun ungehemmt. Diese Forderung war so absurd, dass die Angst merklich wich. „Dann ist es ja egal, wie ich sterbe“, sagte er trocken. „Es ist ein Unterschied“, sprach der Alte. „Du kannst morgen sterben, ohne den wahren Mörder zu bestrafen. Oder du sorgst dafür, dass der Mörder bereut, deine Prinzessin gerächt und dein Ruf wiederhergestellt wird.”
Der Barde antwortete nicht. Der Alte seufzte. “Scheinbar habe ich den Falschen vor mir“. “Genieß deine letzten Stunden”, sagte er. Das Gesicht begann wieder in den Schatten zu verschwinden. „Halt!“, rief der Barde. Die Gestalt in den Schatten hielt inne. „Du versprichst mir Rache?“ Die Silhouette der Gestalt drehte den Kopf und nickte kurz. „Ich…ich werde es tun“, sprach der Barde zögernd. „Ich sehe, ich habe doch den Richtigen“, erwiderte die Stimme erfreut. „So sei es!”, fuhr er fort. “Nach deinem Tod werde ich dich zurückbringen, Barde. Du wirst stärker sein als je zuvor. Wie ein Phoenix sollst du auferstehen und dich an deinen Feinden rächen. Von da an sollst Du als der Phoenix Barde bekannt sein.“ Leise begann die Stimme zu verschwinden, bis sie schließlich nicht mehr zu hören war. Nachdem die Worte endeten, sah der Barde wie die Silhouette in den Schatten verschwand. „Halt wartet!”, sprach der Barde verdutzt. “Was soll das heißen? Nach meinem Tod?“, rief der Barde in die Schatten. Doch der alte Mann war verschwunden und das schwache Licht erlosch. Der Barde ließ die Schultern hängen. Bei dem Gedanken, was morgen mit ihm geschehen würde, kroch das kalte Grauen durch seine Eingeweide. Doch als er an Isabell dachte, nahm er all seinen Mut zusammen. Trotzig straffte er den Rücken. “Ich werde dich rächen!“, sprach er in die Dunkelheit. Traurig schwelgte er in seinen Erinnerungen und fragte sich, was seine Liebste wohl von diesem Pakt gehalten hätte. Die Zeit verstrich und die ersten Sonnenstrahlen drangen durch die Gitter. Blinzelnd öffnete der Barde die Augen und schluckte.
Im Jenseits
„Liebe Leute, hört mich an“, schrie der Barde verzweifelt. Er befand sich im Innenhof des Schlosses und von allen Seiten drangen Menschen auf ihn ein. Voller Hass starrten sie ihn an und sprachen wie mit einer Stimme immer und immer wieder dasselbe Wort: „Mörder, Mörder, Mörder!“. Panisch sah er sich nach allen Seiten um, aber wohin er sich auch wandte, versperrten sie ihm den Weg. Näher und näher kamen sie und drängten ihn so unentwegt auf den Galgen zu. Da hörte er plötzlich einen Schrei. „Hilf mir!“, erklang eine vertraute weibliche Stimme. Er blickte sich um, aber die Menge versperrte ihm die Sicht. Langsam wurde er auf das Podest gedrängt und er begann die Stufen zu erklimmen. Wieder hörte er den Ruf und er spähte über die Menge hinweg. Hastig warf seinen Blick nach allen Seiten und suchte nach der Quelle. Schließlich sah er sie.
„Isabell!“, schrie er und sah verzweifelt dabei zu, wie ein dunkler Schemen sie ergriff und sie langsam auf einen Abgrund zuzog. Sie rief seinen Namen und streckte verzweifelt die Hände in seine Richtung aus. Der Barde rief erneut ihren Namen, doch diesmal entrang sich nur ein heiseres Röcheln seinen Lippen. Er spürte, wie seine Füße den Halt verloren.Verzweifelt strampelte er um sich, während er mit einem Strick um seinen Hals langsam in die Höhe gezogen wurde.
Er riss die Augen auf. Keuchend holte er tief Luft und begann zu husten. „Alles nur ein Traum?“, keuchte er. Als er seinen Blick hob, stockte er. Nasskalt umgab ihn ein dichter Nebel und wo er auch hinblickte, konnte er nichts als trübe Nebelschwaden erkennen. „Wo bin ich?“, fragte er verwirrt und stand auf. Angestrengt versuchte er sich zu erinnern, und schwach, hallte die Stimme des alten Mannes in seinem Kopf. „Ewiges Leben … Rache …der Rabenkönig.“ Dann traf ihn die Erkenntnis und er riss weit die Augen auf. Er griff an seinen Hals und tastend berührte er eine Narbe an seiner Kehle. „Ich… wurde gehängt“, sagte er leise zu sich. Er spürte, wie der Boden schwankte und seine Beine den Halt verloren. Unsanft stürzte er mit einem dumpfen Aufschlag zu Boden. Er rollte sich auf den Rücken und begann sich an seine letzten Stunden zu erinnern.Immer noch konnte er den Strick um seinen Hals fühlen und Bilder flimmerten durch seine Gedanken. Er sah den König vor sich und er erinnerte sich, wie ihm die Gestalt des alten Mannes in seiner Zelle erschien und wie sie ihm einen Pakt anbot. Seine Augen starrten in den dichten Nebel und schwach, meinte er, Umrisse von sich im Wind flatternden Segeln zu erkennen. „Worauf habe ich mich nur eingelassen?“, dachte er.
Plötzlich traf ihn ein Tritt schmerzhaft in die Seite. „Hoch mit Dir, Du wertloser Fleischsack!“ riss ihn eine laute Stimme aus seinen Gedanken. Erschrocken und mit schmerzverzogenem Gesicht, wandte er sich um. Über ihm ragte eine grauenhafte Gestalt und sein Magen begann sich zu verkrampfen. „Ich sagte hoch mit dir!“ wiederholte die Gestalt. Der Barde hob den Kopf und blickte in das bleiche Gesicht eines toten Mannes. Lose Hautfetzen hingen von verschiedenen Stellen seines Gesichts und hinter einer schief sitzenden Augenklappe krochen Maden aus einer leeren Augenhöhle. „Hast Du mich nicht verstanden?“ fragte der Mann. Während er sprach, rasselten leise einige eingeflochtene Knochen in seinem Bart. „Ein Begriffsstutziger? “ seufzte der Mann. Seine knochige Hand glitt zu der Peitsche an seinem Gürtel. Mit einem geübten Rucken rollte diese sich aus und ohne Zögern hieb er nach seiner Schulter. Der Barde schrie auf und krümmte sich vor Schmerz. „Der Kapitän wartet nicht gerne“ sagte der untote Mann und holte erneut mit der Peitsche aus. „Bootsmann Taran“ dröhnte eine tiefe Stimme durch den Nebel. „Macht der neue Ruderer Probleme?“ Der Mann namens Taran senkte den Arm. „Ganz und gar nicht, Kapitän Nilus. Er ist schon ganz erpicht darauf, den Rest der Mannschaft kennenzulernen“, rief der Bootsmann zurück.
Mit einer Hand packte er den Barden an den Haaren und zog ihn auf die Füße. „Aaah! Loslassen!“ zischte der Barde aus zugebissenen Zähnen.
Der Bootsmann grinste. „Vorwärts!“ sagte er und schob den Barden in Richtung der anderen Stimme. Als der Barde vorwärtsschritt, begann sich der Nebel zu lichten. Langsam begann er auch Geräusche um sich herum wahrzunehmen. Er hörte Rufe und erkannte die Befehle von Seeleuten, während das Geräusch von Rudern, die unablässig durch Wasser schnitten, an seine Ohren drang. Verblüfft stellte er fest, dass er sich auf einem Schiff befand. Wankend schritt er weiter und dabei glitt sein Blick über die Reling. Plötzlich blieb er stehen und seine Augen weiteten sich, als er erkannte, dass die Reling nicht aus Holz, sondern aus Knochen bestand.
„Geh weiter!“ geiferte der Bootsmann hinter ihm. Ein Fuß traf ihn in den Rücken und er stürzte aufs Deck. Verängstigt kam er wieder auf die Füße. Er schritt weiter über das Deck und sah wie rechts und links von ihm, ausgemergelte Gestalten die Ruder bedienten. Aufstöhnend und mit gequälten Gesichtern hoben und senkten sie die Ruder, während weitere Matrosen mit gezogenen Peitschen die armen Teufel antrieben.
Schließlich gelangten sie zum Bug und näherten sich einer weiteren Gestalt. „Kapitän Nilus, Sir!“ sprach der Bootsmann hinter ihm. Ein Mann an der Reling drehte sich langsam um und als er den Kopf wandte, blickte der Barde in zwei tiefrote Augen. Durch die leichten Nebelschwaden funkelten ihm die Augen wie zwei glühende Kohlen entgegen. Dann begannen sie sich zu bewegen und kamen unablässig näher. Der Barde sah das Gesicht des Kapitäns und erkannte, dass es von tiefen Narben durchzogen war. Auch der Kapitän hatte Knochen in seinen Bart geflochten und auf dem Kopf befand sich zudem ein merkwürdig sitzender Dreispitz. Bleich stellte der Barde fest, dass sich auf dem Hut ein weiteres Paar Augen befand und seinen Blick gefangen hielt. Die Augen zuckten unruhig und schienen jeder Bewegung des Barden genauestens zu folgen. „Soso“ grinste Nilus boshaft. „Du bist also der, von dem er sprach?“, sagte er. Der Kapitän kam langsam näher und seine Bewegungen erschienen dem Barden dabei äußerst befremdlich. Als der Barde hinunterblickte, stellte er erschrocken fest, dass der Kapitän überhaupt keine Beine besaß. Anstelle von Füßen sah er, wie sich Tentakeln schlangengleich über die Decksplanken wandten. Er schluckte und dabei entlockte sich ein ängstliches Wimmern seiner Kehle. Der Kapitän glitt um den Barden herum und betrachtete ihn von allen Seiten. „Du bist wahrscheinlich noch etwas verwirrt, nicht wahr?“ fragte der Kapitän mit tiefer Stimme. Verängstigt von dem Anblick, der sich ihm bot, konnte der Barde nichts erwidern. Der Kapitän zog tief die Luft ein und verzog grinsend das Gesicht.
„Oh ja … Ich rieche es. Seine Spur an deiner Seele. Ich rieche den Zauber… die Unsterblichkeit! “ sagte Nilus. Er hob den Arm. Statt einer Hand richtete der Kapitän eine Klinge auf die Brust des Barden. „Willkommen auf meinem Schiff“ sagte der Kapitän und hob seinen Dreispitz. „Wo bin ich? Was ist dies für ein Ort?“ entgegnete der Barde mit kraftloser Stimme. „Ah, ihr wisst es nicht?“ fragte der Kapitän. Er grinste und machte eine weitausholende Geste. „Ihr befindet euch auf dem Meer der Toten. „Auf Kapitän Nilus Schiff, um genauer zu sein“ sagte er breitgrinsend. „Seelenräuber ist mein Beruf und ihr mein Freund, seit tot!“ fuhr er gewandt fort. Der Barde schluckte leise und ließ die Schultern hängen. „Das habe ich mir gedacht“ sagte er missmutig und blickte zu Boden. „Lasst den Kopf nicht hängen, Mann!“ sprach der Kapitän aufmunternd. „Ihr mein Freund seid hier, weil er eine Aufgabe für euch hat. Der Barde hob den Blick. „Er?“ fragte er verwirrt. „Der Herr der Zeit natürlich!“ lachte der Kapitän. „Herr der Zeit?“ fragte der Barde. „Ai!“ sagte der Kapitän. „Normalerweise fangen wir nur die verfluchten Seelen, die nirgends hinkönnen. Ihr allerdings…“ begann der Kapitän. „…an euch rieche ich seinen Einfluss und ihr gehört hier nicht hin“. „Der Alte?“ sagte der Barde verdutzt. „Er ist der Herr der Zeit?“ fragte der Barde blöde. Kapitän Nilus nickte wissend. „Du bist nicht die erste Seele, die er für seine Zwecke nutzt.“ sagte Nilus. Der Barde lachte laut auf und entgegnete: „Für seine Zwecke nutzt?!“ Irgendwie hatte er das Gefühl, dass er in diesem Gespräch nicht mit Intelligenz glänzte. Er schüttelte den Kopf. „Ich soll den Rabenkönig töten, Kapitän“ sagte er. Daraufhin wurden die Züge des Kapitäns hart. Er kniff die Augen zu und erwiderte: „So so? Den Rabenkönig töten, sagt ihr“. „Ganz genau…“, erwiderte der Barde sarkastisch. „Als ob das jemand könnte. Ich habe Geschichten gehört, wisst ihr? Niemand vermag den Rabenkönig zu töten“ sprudelte es aus dem Barden heraus. Ein leichtes Lächeln zeigte sich in den Zügen des Kapitäns und er nickte. „Mein armer Freund, mir scheint, als hätte man euch eine schwere Bürde auferlegt.“ sagte der Kapitän. „Ihr wirkt gescheit. Ich denke euch wird es bestimmt gelingen“ sagte der Kapitän und klopfte dem Barden auf die Schulter. „Habe ich eine Wahl?“ entgegnete der Phoenix Barde, und war sich dessen ganz und gar nicht sicher. Der Kapitän wandte seinen Blick zum dunklen Meer. Er zuckte mit den Schultern. Er warf einen kurzen Seitenblick auf den Barden und antwortete: „Vielleicht mein Freund. Ich könnte euch ein Angebot machen” fuhr er fort. „Ein Angebot?“ fragte der Barde. „Ai“ nickte der Kapitän. Er deutete mit seiner Klinge zum Meer. „Der Herr der Zeit trug mir auf euch zur Feuerinsel zu bringen, allerdings gäbe es auch einen anderen Ort, an den ich euch bringen könnte.Weit im Westen“, erklärte er weiter. „Dort gibt es ein Portal.“ „Ein Portal?“, fragte der Barde. „Wohin?“ „Ein Portal in die Welt der sterblichen, natürlich. Dorthin müsst ihr gelangen und vielleicht findet ihr eine Möglichkeit euer Schicksal zu wenden“ entgegnete er. Der Barde spürte wie sich eine leichtes Gefühl der Hoffnung einstellte. „Wo befindet sich dieses Portal?“ fragte er. Kapitän Nilus wandte sich um und näherte sich dem Barden. „Ich könnte euch dorthin bringen“, raunte der Kapitän. „Allerdings zu einem Preis!“, ergänzte er. „Was verlangt ihr“, fragte der Barde. Lässig schwenkte der Kapitän seine Klinge. „Ach nichts weiter“, sagte er unschuldig.„Wir brauchen Ruderer. Wie wäre es, wenn ihr auf meinem Schiff anheuert?“ fragte der Kapitän. Der Barde schaute den Kapitän an und nickte. „Also, wenn es nur das ist?“, sagte der Barde. „Ich soll nur ein wenig rudern und ihr bringt mich zu diesem Portal?“ fragte er. Der Kapitän nickte und sagte: „Natürlich, aber es ist eine lange Reise und ihr als mein neuer Ruderer werdet etwas arbeiten müssen, bevor ihr das Portal zu Gesicht bekommt.“ Der Barde zögerte und fragte: „Wie lange wird es dauern, bis wir das Portal erreichen, Kapitän Nilus?“ Das Lächeln des Kapitäns wurde breit und er begann zu lachen. „Was ist so lustig?“, fragte der Barde etwas verwirrt. „Bootsmann Taran, ich glaube, wir haben hier ein richtig cleveres Kerlchen!“, rief Nilus belustigt. Die Miene des Bootsmanns verzog sich zu einem Grinsen. „Ai, Sir!“ sagte Taran belustigt. Nilus wandte sich wieder an den Barden und antwortete: „Nun mein Freund wie lange… wie lange?“, sagte er amüsiert. „Das kann niemand bei all den Stürmen auf dem Meer der Toten genau sagen. Aber sorgt euch nicht mein Freund.“
Er hob einen Arm. „Bootsmann Taran!?“. „Ai, Sir!?“ „Die Passagierliste!“, rief Nilus aufgeregt und ergänzte freundlich „…bitte!“. Schnell trat der Bootsmann vor und überreichte Kapitän Nilus ein kleines Buch.Nilus Schwertspitze öffnete den Einband und geschickter als man für möglich hielt begann er mit der Klingenspitze zu blättern. Dem Barden fiel auf, dass genau wie beim Schiff, auch das Buch aus menschlichen Überresten zu bestehen schien. Nach kurzem Blättern verharrte die Schwertspitze auf der letzten Seite. „So! Hier haben wir es ja.“ sagte Kapitän Nilus und deutete auf ein leeres Feld. Verwundert fragte der Barde: „Erlaubt mir die Frage, aber was hat es damit auf sich?“ Nilus fasste sich mit der gesunden Hand an die Brust. „Ach verzeiht mir! Eine Erklärung? Natürlich! Nun mein Freund es ist so, natürlich müsst ihr, um als Passagier mitreisen zu können, euch in die Passagierliste eintragen.“ Der Kapitän deutete auf eine freie Seite. „Ein Abdruck eures Daumens genügt“. Der Barde zuckte mit den Schultern und hob schon seine Hand, da packte der Bootsmann diese mit eisernem Griff. „Nicht so grob Taran!“ sagte der Kapitän verschmitzt. Langsam hob der Kapitän die Klinge an den gespreizten Daumen des Barden. Dieser zuckte daraufhin zusammen. „Keine Angst mein Freund! Wir brauchen nur etwas Tinte.“ sagte Nilus mit eisiger Stimme. Der Barde gab ein Zischen von sich als die Klinge durch seine Haut drang. „So! Fast geschafft mein Freund, nur noch ein Abdruck hier…“ Nilus führte den Daumen zur freien Stelle und presste diesen hart auf die Seite. „Ah! Seid doch vorsichtig“ rief der Barde vor Schmerz. Die Miene des Kapitäns wurde schlagartig kalt. Der Bootsmann Taran räusperte sich und fragte: „Soll ich unserem neuen Passagier seine Kabine zeigen?“ „Tut das Taran“, sagte der Kapitän plötzlich ohne Spur seiner noch vor wenigen Augenblicken guten Laune. Dann wandte er sich wieder dem Barden zu. „Geht mit Bootsmann Taran, Ruderer. „Er wird euch zeigen, wo euer Platz ist“, sagte Nilos bedrohlich. Grob packte der Bootsmann den Barden am Arm und zerrte ihn zur nächsten Ruderbank. „Was soll das?“, wollte der Barde gerade fragen, als sich im nächsten Moment schwere Ketten um seine Füße legten. Der Kapitän lachte nun eisig und rief: „Ai! Ihr habt mir soeben eure Seele verkauft.“ „Was habe ich!?“ entgegnete der Barde schockiert und wurde ganz blass im Gesicht. „Genug gefaulenzt!“ rief Kapitän Nilus. „Rudert ihr Ratten!“
Flucht vom Knochenschiff
Schaukelnd glitt das Schiff über die Wellen. Meilen um Meilen war nichts als das dunkle graue Wasser zu sehen. Erschöpft lehnte der Barde mit dem Kopf an der Reling. Er spürte das Brennen seiner Arme. Die Zeit war für ihn zu einer undefinierbaren Größe geworden. Ruderte er schon Wochen, Monate oder sogar Jahre? Er wusste es nicht. Verkrampft versuchte er seine Faust zu ballen, doch die Schwielen auf seinen Handflächen hinderten ihn und er stöhnte auf vor Schmerz. Daraufhin ließ er die Schultern hängen und leeren Blickes glitten seine Augen wieder über die wogenden Wellen. Ein Matrose schritt an ihm vorüber und verhöhnte ihn. „Na?! Wie gefällt euch eure Kajüte? Geehrter Passagier?“, spottete er. Er musterte den Barden. „Ich glaube aber nicht, dass sich das Schiff von allein bewegt“, fuhr er fort und griff nach seiner Peitsche. „Schon gut! Ich rudere!“, antwortete der Barde entsetzt und packte schnell die Ruder. Doch der Matrose holte bereits aus und traf ihn genau zwischen den Schulterblättern. Er schrie auf und krümmte sich vor Schmerz. „Lass dir das eine Leere sein, Ruderer!“, sagte der Matrose und wandte sich zum Achterdeck um. Der Barde biss die Zähne zusammen und begann zu rudern.
Die Tage schienen endlos. Auf dem Meer der Toten wurde es nie Nacht, sodass nicht zu bestimmen war, wie lange er bereits ruderte. Stets glomm ein blass gräuliches Leuchten aus dem wolkenverhangenen Himmel. Er fragte sich, ob er nicht langsam den Verstand verlor. Unaufhörlich hoben und senkten sich die Ruder. Nach einer gefühlten Ewigkeit begann sich der Barde in Erinnerungen aus besseren Tagen zu flüchten. Während er voller Gram auf seine geschundenen Hände blickte, erinnerte er sich daran, wie er das erste Mal auf seiner Laute gespielt hatte und an das Gefühl und die Freude, die ihm die Musik gebracht hatte. Bald verschwamm sein Blick und Tränen glitten unaufhörlich über sein Gesicht.
Flüsternd und sehr schwach drang eine Stimme an sein Ohr. Sie klang zunächst gedämpft und wie durch Watte, doch nach und nach wurde sie immer bohrender, immer drängender. Eine Hand legte sich auf seine Schulter und langsam, wie in Trance, wandte er den Kopf. Der Ruderer hinter ihm hatte sich nach vorne gebeugt und starrte ihn mit leerem Blick an. Eine krächzende Stimme drang aus einer Kehle: „…Da…bist…“. „Was?“, fragte der Barde verwirrt. „Da …bist du ja…“, sagte der Ruderer nun etwas lauter. „Ich verstehe kein Wort. Ich bin doch schon die ganze Zeit hier“, antwortete der Barde. Der Ruderer zog ihn näher zu sich. „Hast du eine Ahnung wie lange ich schon nach dir Suche?“, sagte er mit gereiztem Unterton. Er verstärkte seinen Griff. „Aua, was soll das? Lass mich los!“, sagte der Barde und schüttelte die Hand von seiner Schulter. „Lass das! Sonst werden wir ausgepeitscht!“, flüsterte er und blickte sich hastig um. Dabei traf sein Blick auf den von Bootsmann Taran. Dieser stand direkt vor ihm. „Was wird das hier?!“, fragte er, „Kaffeekränzchen?“ Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. „Du lernst wohl nie, oder?“, sagte er kopfschüttelnd. Gemächlich zog er seine Peitsche und ließ sie dann blitzartig nach vorne schnellen. Der erste Hieb traf den Barden an der Schulter und zerfetzte den letzten Rest seines kümmerlichen Hemdes. Der zweite fuhr dem Ruderer mitten durchs Gesicht und ein kurzes Wimmern war zu hören. Der Barde blickte auf seine Schulter und sah, wie sich ein blutiger Striemen zum Oberarm zog.
„In die Riemen!“, sagte Taran lachend und schritt wieder die Reihen der Ruderer entlang. Wie ein geschundener Hund ergriff der Barde erneut die Ruder und die Tortur begann von neuem. Glühender Schmerz zog sich heiß bis in seine Fingerspitzen und er spürte, wie sein linker Arm bereits taub wurde. „Du bist so ein Dummkopf!“, flüsterte die Stimme des Ruderers hinter ihm. „Pssst! Fängst du schon wieder an, Mann?“, zischte der Barde leise. „Du hast doch gesehen was passiert, wenn…“ „Ich habe dir Kräfte verliehen, warum in allen Höllen nutzt du diese nicht?“, unterbrach ihn der Ruderer gereizt. Der Barde hielt verdutzt inne. „Kräfte? Moment?! Diese Stimme… Ich kenne diese Stimme“, sagte er verdutzt, „Bist du der Schatten aus meiner Zelle? Bist du dieser Herr der Zeit“, fragte er. „So ist es, mein Freund“, antwortete der Herr der Zeit.
Schritte näherten sich ihnen. Schnell begann der Barde wieder zu rudern. Drei Matrosen schritten an den Reihen entlang. Kurz vor dem Ende der Ruderreihen blieben sie stehen. Der Barde sah, wie einer der Matrosen auf einen zusammengesunkenen Ruderer deutete. Im nächsten Moment packten die übrigen Matrosen den Mann, hoben ihn hoch und warfen ihn über Bord. „Was ein Schwächling“, sagte einer der Matrosen, „Mal sehen, wie lange es dauert, bis er merkt, dass er nicht ertrinken kann“, sagte ein anderer. Die Matrosen begannen zu lachen. „Kapitän Nilus sagte, wir sammeln ihn später wieder ein“, sagte der Erstere und die Matrosen kicherten bösartig. „Mal sehen, ob er dann immer noch schlapp macht“, sagte er noch und die drei schlenderten wieder zurück die Reihen entlang.
Als sie sich weit genug entfernt hatten, flüsterte der Barde: „Du versprachst mir ewiges Leben! Nicht ewiges Rudern!“ Der Herr der Zeit lachte leise. „Ich habe mein Versprechen gehalten“, sagte der Herr der Zeit. „Ach ja?! Schau dich mal um. Du bist doch selbst an die Planken gekettet“, erwiderte der Barde fassungslos. „Sei kein Narr! Ich bin nicht wirklich hier. Ich nutze nur diese arme Seele, um mit dir zu sprechen.“ sagte er. Der Barde warf erneut einen Blick über die Schulter. Der Ruderer schien wie wegetreten. „Zauberei?“, fragte der Barde. „Nicht wirklich“, erwiderte der Herr der Zeit, „Ein kleiner Taschenspielertrick, sonst nichts“, ergänzte er. „Na gut. Aber wie sollen wir… ich meine ich… wie soll ich von hier entkommen?“, fragte der Barde. „Eine gute Frage“, sagte der Ruderer. Nach einer kurzen Pause fragte er schließlich: „Was spürst du?“ „Was sollte ich spüren?“, antwortete der Barde verdutzt. „Auch eine gute Frage“, erwiderte der Herr der Zeit. „Du bist tot mein Freund. Meinst du, du hättest einen Körper, der spüren könnte?“, fragte er schmunzelnd.
Der Barde schwieg und dachte darüber nach. Es war ein guter Punkt. Schließlich fuhr der Herr der Zeit fort: „Die Schmerzen, die du spürst, sind nur Echos. Hier im Meer der Toten landen nur Seelen, welche den Übergang nicht geschafft haben. Als Seele hast du keinen Körper und daher kannst du auch keine körperlichen Schmerzen spüren. Oder wundert es dich nicht, dass deine Wunden schon wieder verheilt sind, oder warum du immer wieder neue Schwielen bekommst?“ „Jetzt wo ihr es sagt…“, entgegnete der Barde stirnrunzelnd. Der Barde blickte an sich herab. Es stimmte. Die Wunde an der Schulter war nicht mehr da. „Ihr habt recht!“, rief er etwas zu laut. „Leise mein Freund“, zischte der Herr der Zeit. „Noch wollen wir keine Aufmerksamkeit. Hör zu!“, fuhr er fort. „Ich kann dir ein Portal ins Diesseits öffnen, aber um deine Ketten musst du dich selbst kümmern“, sagte er. Der Barde zog an seinen Ketten und sie rasselten leise. „In Ordnung, aber wie sollte ich das anstellen?“, fragte er. „Als du starbst, sprach ich einen mächtigen Zauber. Ich habe dir große Macht verliehen. Du musst sie nur nutzen.“, sagte der Herr der Zeit. „Geh in dich und spüre das Feuer!“, fuhr er leise fort.
Der Barde schloss die Augen. „Feuer?“, dachte er sich. Er spürte tief in sich hinein, konnte aber nichts dergleichen finden. „Moment halt“, dachte er, „Doch da ist etwas“, murmelte er nun. Er versuchte sich zu konzentrieren und tatsächlich, er konnte tief in sich etwas Fremdartiges, etwas mit großer Macht brennen fühlen. Er öffnete die Augen und blickte wieder zum Ruderer. „Ja, ihr habt recht. Ich spüre etwas“, sagte er. „Dann nutze es!“, entgegnete der Herr der Zeit. Der Barde schloss erneut die Augen und spannte sich an.
Zunächst schien nichts zu geschehen, doch dann nach und begannen Dampfschwaden von seiner Haut emporzusteigen. „Ja, nur weiter!“, sagte der Herr der Zeit. Die Hitze stieg an. Nach wenigen Minuten begannen die Eisen um seine Handgelenke Rot zu glühen. Der Barde fühlte das Feuer brennen. Und schrie.
„Was ist da los!“, rief der Bootsmann Taran von Achterdeck. Matrosen eilten über das Deck. Schockiert sah Taran dabei zu wie der neue Ruderer seine Arme hob und die Eisen und Kettenglieder heiß wie Schmiedeeisen glühten. Vier Matrosen rannten mit gezogenen Säbeln über das Deck, als der Ruderer im nächsten Moment seine Arme auseinander breitete. Glühende Kettenglieder flogen übers Deck und trafen sowohl Matrosen wie Ruderer. „Kapitän Nilus, Sir! Das Frischfleisch hat es geschafft, sich von den Ketten zu befreien“, schrie der Bootsmann. Kapitän Nilus glitt an Tarans Seite und blickte ebenso fassungslos. „Wie ist das nur möglich?“, fragte er. Der Barde spürte die Macht. Flammen stiegen von seinen Armen empor. Er begann laut zu lachen. „Zurück an die Ruderbank, Sklave“, schrie eine tiefe Stimme. Der Barde wandte sich um. Er sah, wie Nilus von Achterdeck auf ihn herabblickte. Mit zornig blitzen Augen starrte er den Barden an.
Der Barde sah, wie der Kapitän in seinem Mantel kramte und ein Pergament hervorholte. „Erinnere dich! Du hast diesen Vertrag mit Blut unterzeichnet und mir damit deine Seele verkauft!“, sagte Kapitän Nilus zornig, „Du kannst nicht fliehen!“ „Ach wirklich?!“, rief der Barde. „Welcher Vertrag?“, fragte er grinsend und hob einen Arm. Fluchend ließ Nilus das Pergament fallen und sah verdutzt dabei zu wie dieser zu nichts als Asche verbrannte. Nun erhob sich der Ruderer und die Stimme des Herrn der Zeit dröhnte über Deck. „Es wird Zeit! Sei gegrüßt Nilus! Tut mir leid für die Umstände, aber dieser da gehört mir!“, rief er. Im nächsten Moment sackte der Ruderer in sich zusammen. „Du?“, schrie Nilus noch erzürnt, als sich im nächsten Moment backbord ein flammendes Portal öffnete.
„Danke für die Gastfreundschaft!“, rief der Barde und rannte die Reihen entlang. Im Vorbeirennen berührte er die Ketten der anderen Ruderer, welche sofort zu glühen begannen und ebenfalls schmolzen. „Nein!“, schrie Nilus. Haltet ihn auf!“, rief er seiner Mannschaft zu. Der Bootsmann Taran schwang sich mit einem der Taue auf das Vorderdeck und stellte sich dem Barden mit blankem Stahl entgegen. Der Barde spürte die Kraft in sich und lächelte nur. „Das wird mich nicht aufhalten“, sagte er und breitete die Arme aus. „Das werden wir ja sehen“, sagte Taran und stürmte vor.
Der Barde ging in Flammen auf.
Von den Flammenzungen bedrängt, wich der Bootsmann mehrere Schritte zurück. „Was in allen Höllen?“, rief er nur, als sich im nächsten Moment etwas blitzschnell auf ihn zu bewegte. Brennend flog der Barde in Gestalt eines Feuervogels durch Taran hindurch und verbrannte ihn zu Asche. Es geschah so schnell, dass Kapitän Nilus nur ein: „Oh!“, von sich geben konnte, als der Phoenix im nächsten Moment auch schon durchs Portal flog. Kapitän Nilus zog sich seinen Hut vom Kopf und warf ihn über Bord. „Das wirst du mir Büßen, du verfluchter alter Mistkerl!“
Der Phoenix Barde
Schmerzverzerrt streckte sich der Herr der Zeit. „Das ist nichts mehr für meine müden Knochen“, sagte er als sein Rücken knackte. Eine ganze Woche hatte es gedauert all die Überreste dieses bemitleidenswerten Kerls einzusammeln. Und als wäre dies nicht genug gewesen, hatte es fast einen halben weiteren Tag gebraucht, bevor er das Feuer entzünden konnte. „Dieses vermaledeite Wetter!“, fluchte er und winkte mit Faust zornig gen Himmel.
„Nun gut“, sagte er und blickte auf die lodernden Flammen. „Dann wollen wir mal“, er strecke seine offene Hand zum Feuer und schloss seine Augen. Er holte tief Luft und begann zu murmeln. Eine ganze Stunde vergingen, ohne dass etwas geschah, dann plötzlich loderte eine Stichflamme empor. Der Herr der Zeit hatte ein teuflisches Grinsen auf den Lippen, als sich ein Wesen mit feurigen Schwingen aus den Flammen erhob. Es war ein beeindruckendes Schauspiel.
„Es hat funktioniert!“, stieß es aus ihm freudig heraus.
Der Herr der Zeit wusste das bei seinem Vorhaben nicht nur Glück oder Zufall eine Rolle gespielt hatten. Er hatte hart daran gearbeitet, die Überreste des Barden zu bergen. Der verbitterte König hatte die Leichenteile quer über die Stadtmauern aufgespießt und niemand hatte sich ihnen nähern dürfen. Nacht für Nacht hatte er sich heimlich auf die Mauern geschlichen und die Überreste des Barden Stück für Stück an sich genommen. Es war nicht leicht gewesen, aber er hatte keine Mühen gescheut und es letztendlich geschafft. Er hob den Kopf und sah zum Himmel.
Der Phoenix begann seine Schwingen auszubreiten und es wurde taghell. Der Nachthimmel war verschwunden und alles erstrahlte in einem goldroten Feuerschein. Dann nach einer gefühlten Ewigkeit, sank die Erscheinung zu Boden. Die Flügel verwandelten sich und die Gestalt begann menschliche Formen anzunehmen. Der Schnabel schmolz zu einem Gesicht und nach wenigen Augenblicken stand dort, wo eben noch der Phoenix auf die Erde gesunken war, ein junger Mann. Er war vollkommen durchgeschwitzt und keuchte schwer. Verwirrt blickte er sich um fragte:
„Wo bin ich? Was ist geschehen?“ Der Herr der Zeit lächelte. Theatralisch breitete er seine Arme aus und sprach mit lauter Stimme: „Es ist, wie ich es versprach. Du wurdest wiedergeboren und bist nun bereit für deine Rache!“ Schweigend starrte der Barde den alten Mann an. Als das Schweigen dem Herrn der Zeit langsam unangenehm wurde, sagte er schließlich: „Ich habe all mein Können angewandt und du solltest nun in der Lage sein, unsere kleine Abmachung einzuhalten.“
Ungläubig starrte ihn der Barde an. „Kleine Abmachung?“, stotterte der Barde. „Kleine Abmachung!“, wiederholte er nun wütend. Er stolperte leicht nach vorne und versuchte den Herrn der Zeit zu packen, doch dieser wich geschickt aus. Er verlor sein Gleichgewicht und sackte auf die Knie. Ihm wurde schlecht und er spuckte aus. „Wegen dir!“, keuchte er. „Das Schiff… du… du hast ja keine Ahnung, was ich durchmachen musste!“, rief er wütend. „Das ist alles deine Schuld!“ Doch der alte Mann lachte nur und schien sich nicht um die Wut des Barden zu scheren. Er machte eine beiläufig wegwischende Geste. „Ach das…“, sagte er. „Entschuldige die Umstände, ich war etwas eingerostet. Dass du dieser Wasserratte Nilus über den Weg läufst, war nicht eingeplant.“
„Aber sei es drum. Nun bist du ja wieder hier.“ Er näherte sich langsam und flüsterte: „Nun, können wir beginnen!“
Als der Morgen graute, stand der Phoenix Barde dicht am Rande des alten Waldes. Wochen waren vergangen, seitdem der Herr der Zeit begonnen hatte, ihm beizubringen, mit seinen neu erworbenen Fähigkeiten umzugehen. Die Unterweisungen waren schwierig, doch Stück für Stück hatte er sie gemeistert und stellte sich nun der gestellten Aufgabe. Er dachte darüber nach, was geschehen war und rieb sich die Stirn.
„Den Rabenkönig töten?“, wiederholte er die Worte des alten Mannes.
Er seufzte. Es fiel ihm immer noch schwer, zu begreifen, wie es zu alldem kommen konnte. Stunden um Stunden, so erinnerte er sich, hatte ihm der alte Mann vom Rabenkönig und seinem schwarzen Buch erzählt. Aber immer noch fragte er sich, was es mit diesem schwarzen Buch auf sich hatte. Jeder Frage war der alte Mann bisher ausgewichen.
„Vergiss nicht, du musst mir das Buch wiederbringen!“, erklang die Stimme immer noch in seinem Kopf. Und das war das Einzige, was er über diesen Gegenstand erfuhr. Zumindest das und die Tatsache, dass der Rabenkönig es gestohlen hatte. Der Barde war zunächst wütend, verwirrt und unsicher gewesen, als der alte Mann begann, seinen Auftrag zu schildern. Immer wieder hatte er Andeutung über Isabellas Tod gemacht und damit seine Wut mehr und mehr angestachelt. Aber das, was der Alte über den Rabenkönig erzählte, jagte ihm auch jetzt noch einen Schauer über den Rücken. Seine Augen glitten über die Landschaft. Er dachte an den Mord an seiner Liebsten zurück und ihm war klar, dass seine Gier nach Rache ihn ins Verderben stürzen würde. Er schüttelte den Kopf und ballte die Fäuste. „Den Rabenkönig töten und dann erfahre ich, wer Isabellas Mörder ist. Das war die Abmachung“, dachte er sich. „Ich werde ihn finden“, kam es zwischen seinen zugebissenen Zähnen heraus. Mit dem immer heller werdenden Sonnenlicht bemerkte er grauschwarze Wolken im Osten.
„Nein, keine Wolken. Qualm…“, dachte er sich. Er erinnerte sich an die Worte des Herrn der Zeit. „Halte dich Ostwärts. Du wirst nach Talfurt kommen. Dort wirst du den Rabenkönig und seine Schergen finden und falls du dich beeilst, kannst du vielleicht auch die Stadt retten.“ Der Barde erinnerte sich, wie er daraufhin in Fassungslosigkeit versunken in das Feuer gestarrt hatte. Aber der Alte hatte ihm nur auf die Schulter geklopft und gemeint:
„Du schaffst das schon.“
So stand er nun hier. Monate später am Rand eines Waldes und schaute dabei zu wie der schwarze Rauch seine Kringel zog. Er hob den Kopf und atmete tief durch. Dann streckte er die Hände von sich und die Luft über seinen Armen begann sich zu verformen. Flammen stießen hervor und der Barde verwandelte sich zu einem Feuervogel. Er stieß sich vom Boden ab und flog in Richtung des schwarzen Rauchs. Er war bereit, dem Rabenkönig die Stirn zu bieten und diejenigen zu retten, die es verdient hatten.
Der Kampf beginnt
Talfurt brannte an allen Ecken lichterloh. Der Barde schwebte in seiner Phoenix Gestalt hoch über der Stadt. Wohin er seinen Blick auch wandte, sah er nichts als Kampf, Tod und Zerstörung. Die Verteidiger hatten überall in der Stadt Barrikaden errichtet und versuchten mit dem Mut der Verzweiflung die Übermacht abzuwehren. Doch schon jetzt konnte der Barde erkennen, dass die Menschen von Talfurt den Heerscharen des Rabenkönigs nicht viel länger standhalten würden. Weit hinter den Frontlinien im Zentrum der Stadt entdeckte er einen großen Marktplatz. Viele Einwohner hatten sich dort versammelt und er erkannte wie Frauen, Kinder, Alte und Verwundete sich zu hunderten dort einfanden. Er faltete seine Flügel und begann seinen Sinkflug.
Wenige Meter über den Boden begann er seine Gestalt zu wandeln und die Menschen stießen überraschte Rufe aus. Er spürte wie alle Blicke auf ihm ruhten und sah, wie dutzende Menschen auf ihn deuteten. Bei dem grausamen Anblick, der sich ihm bot, zog er scharf die Luft ein und er nahm den metallischen Geruch von Blut war. Dazu mischte sich der beißende Gestank von verbranntem Fleisch.
Mit unruhigen Augen schaute er sich um. Die Menschen wirkten verhärmt. Sie hatten eingefallene Gesichter und waren von den Wochen des Kampfes gezeichnet. In ihren Augen lag eine tiefe Hoffnungslosigkeit, welche ein trauriges Zeugnis ihrer Strapazen war. Trotz des Chaos um ihn herum bemerkte er, wie sich Schritte näherten. Er wandte sich um und sah, wie ein Trupp Bewaffneter auf ihn zukam. Der Vorderste trug dicke Bandagen um seine Brust und deutete mit gezogener Klinge auf ihn. „Zurück mit dir! Unnatürliche Bestie!“, rief er voller Furcht mit brüchiger Stimme und streckte seine zitternde Klinge vor.
Der Barde hob langsam beide Arme und räusperte sich. „Guter Mann! Ich komme in Freundschaft.“ Er drehte seine Handflächen nach außen und sagte beruhigend in seinem besten Bariton: „Habt keine Furcht! Ich bin hier, um den Einwohnern von Talfurt beizustehen.“ Erleichterte Mienen machten sich unter den Soldaten breit und ihre Klingen senkten sich ein Stück. Der Vorderste des Trupps ergriff erneut das Wort: „Habt dank für eure Worte. Aber wer seid ihr? Seid ihr ein Zauberer? Wie könntet ihr uns in dieser ausweglosen Situation helfen? Bringt ihr Verstärkung aus Merangardt?“
Der Barde erwiderte freundlich: „Tut mir leid, guter Mann. Über Verstärkung aus Merangardt hörte ich leider nichts. Man nennt mich den Phoenix Barden. Ich eilte von weit her und kam, um den Rabenkönig aufzuhalten.“ „Ihr allein?“, antwortete der Soldat verdutzt. Der Barde nickte und blickte sich um. „Guter Mann, seid doch bitte so nett und weist mir die Richtung. Wo finden zurzeit die härtesten Kämpfe statt?“ Ungläubig deutete der Soldat zum Westende des Marktplatzes. „Dort…“, sagte er leicht fassungslos. „Habt dank“, sagte der Barde und ließ den Trupp erstaunt und sprachlos stehen.
Der Barde schritt über den Marktplatz und hörte dabei von allen Seiten das Wimmern und Wehklagen der Überlebenden. Auf halbem Weg näherte er sich einem Lagerfeuer, an dem sich dutzende Menschen versammelt hatten. Sie teilten ihre wenigen Vorräte und spendeten sich Trost. Inmitten der Menge saß ein Mann auf einem Fass. Er trug eine Laute und spielte eine melancholische Melodie. Der Barde blieb stehen und lauschte. Lang war es her gewesen, dass Musik an seine Ohren gedrungen war. Er konnte nicht anders und schloss die Augen. Voller Freude erklangen die Töne in seinen Ohren und kurz wünschte er sich zurück in sein altes Leben. Nach einer Weile mischte sich die tiefe sanfte Stimme des Mannes hinzu und er begann zu singen. Er sang eine düstere Geschichte. Älter als die Zeit. Er sang vom Rabenkönig und seinen Untaten. Von Schlachten, von Gefallenen und von Liebe.
Der Phoenix Barde ließ sich von dieser Geschichte gefangen nehmen. Doch bemerkte er auch die detaillierten Schilderungen des Mannes und konnte sich nicht gegen den Eindruck erwehren, dass dieser viel mehr über den Rabenkönig wusste, als er wissen durfte. Nachdem der Mann das Lied beendete, näherte sich ihm der Barde: „Seid mir gegrüßt. Sagt guter Mann, woher stammt diese Geschichte?“, fragte der Barde. Der Mann hob den Kopf und der Barde blickte in ein tief vernarbtes Gesicht. Schnell wanderten dessen Augen wieder zu Boden und er begann kryptisch zu antworten: „Wer weiß? Von nah oder fern? Aus Vergangenem? Oder Zukünftigem? Wer kennt schon die Antwort?“
Der Mann schlug einen Akkord auf seiner Laute und fuhr melodisch fort: „Die Welt ist größer und älter als der Rabenkönig. Das Muster der Zeit webt, wie es will und manche Dinge sind vorherbestimmt. Egal wie sehr ihr euch bemüht, manches steht bereits festgeschrieben!“, endete er. Der Barde hatte das Gefühl, dass ihm die Stimme des Mannes vertraut war, doch bevor er mehr Zeit fand darüber nachzugrübeln, ertönten Hornstöße von den Türmen der Stadt und kündigten die nächste Angriffswelle an.
Der Phoenix Barde musste sofort handeln. „Entschuldigt mich!“, sagte er knapp und eilte los. Er sammelte seine Magie und sprach mit verstärkter Stimme: „Bewohner von Talfurt! Sichert eure Habe! Hütet die Kinder! Fürchtet euch nicht, der Phoenix ist gekommen!“
In Wellen, wie sie sich im schwarzen Meer bewegten, so bewegten sich die Krieger des Rabenkönigs auf die Stadt zu. Der Barde hatte keine Zeit verloren. Unter großem Erstaunen der Menschen hatte er sich wieder in einen Phoenix verwandelt und flog nun in rasender Geschwindigkeit über die Dächer der Stadt. Er erspähte eine Gruppe bedrängter Verteidiger und ging in den Sturzflug.
„Whums“, dröhnte die Explosionswelle, welche bei seiner Landung entstand. Unter den erstaunten Blicken der Verteidiger war der Phoenix wie ein mächtiger Blitz unter die Feinde gefahren. Fließend wechselte er zwischen seinen Gestalten und raste dabei durch die Lücken der Angreifer. Er stieß seine Flammen nach allen Seiten und tötete dabei einen Gegner nach dem anderen. Jubel ertönte von Seiten der Verteidiger. „Ein Phoenix?“, schrie einer der Soldaten an vorderster Front. „Ein Phoenix ist gekommen!“ Die Sonne erreichte bereits ihren Zenit. Der Barde stand in einer Gasse und keuchte schwer. Er wusste nicht, wie lange der Kampf bereits gedauert hatte. Die Horden des Feindes schienen endlos. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, wie sich ein weiterer Trupp näherte. Grimmig spurtete er los und hob seine Hand. Mit einer gleißenden Flamme versenkte er die neuen Gegner und sank danach erschöpft auf ein Knie. Das Klappern von Stiefeln echote von den Trümmern. Er hob den Kopf. Grimmig sah er eine neue Woge von Gestalten auf sich zu marschieren. Doch plötzlich erklang ein tiefes Dröhnen und es wurde ganz still. Die Schergen des Rabenkönigs waren stehen geblieben und begannen eine Gasse zu bilden. Am Ende der Gasse stand eine riesige schwarze Gestalt, über dessen Schulter ein unnatürlich großes Schwert ragte.
Und Phoenix Barde wusste, dieser Kampf hat gerade erst begonnen.
Der Sieg des Rabenkönigs
Der Phoenix Barde befand sich am Ende einer Gasse. Er blickte auf eine imposante Gestalt, welche sich ihm langsam näherte. Sie zog ein riesiges Schwert hinter sich her, welches tiefe Furchen in den Boden grub. Es war mit Blut verklebt und es erklang ein markerschütterndes Geräusch, während es durch den Boden pflügte. Bei jedem Schritt, mit dem sich die Gestalt näherte, wuchs der Knoten im Magen des Barden. Er begann tief ein- und auszuatmen und die tobende Schlacht um ihn herum verblasste. Er sammelte all seinen Fokus und seine letzten Kräfte und konzentrierte sich nur noch auf die Gestalt vor ihm. Wenige Meter vor ihm blieb die Gestalt stehen. Instinktiv wusste der Barde, wer vor ihm stand.
Der Rabenkönig.
Er war ein mächtiger und furchterregender Gegner. Ganz in schwarz gerüstet, strahlte er eine Aura des Schreckens aus. Sein Gesicht war teilweise unter einer Maske verborgen und nur seine Augen und ein Teil seines Mundes waren zu erkennen. Tiefrot brannten diese Augen sich in jede Seele. Unter dem laut rauschenden Blut, das er in seinen Ohren hörte und dem Pochen seines Herzens, konnte er das Gesicht des Rabenkönigs zu undeutlich wahrnehmen. Der Rabenkönig sprach und seine tiefe Stimme dröhnte durch die Gasse, wie ein Donnerschlag in einer steinernen Schlucht: „Wie ich sehe, hat mein ‚Vater‘ seinen letzten Trumpf ausgespielt und dich geschickt, um mich aufzuhalten“, dröhnte der Rabenkönig und musterte den Barden amüsiert, „zu mehr war er nicht im Stande, wie ich sehe“, spottete er und begann grollend ein freudloses Lachen. Der Barde schluckte und zwang sich keine Miene zu verziehen. Er wusste, ein falscher Schritt, eine falsche Bewegung und es wäre das Ende. Er öffnete den Mund und sagte mit klarer ruhiger Stimme: „Es spielt keine Rolle, zu was er im Stande ist, denn ich werde dich aufhalten! Du bist das Einzige, was zwischen mir und meiner Rache steht. Also mach dich auf dein Ende gefasst!“
Die Augen des Rabenkönigs begannen zu funkeln und sein Mund verzog sich leicht zu einem unheimlichen Lächeln. „Gut! Du hast Feuer in dir“, sagte er und hob das Schwert. „Mir wurde schon langweilig. Ich hoffe du wirst mir etwas mehr Unterhaltung bieten als der Rest“, fuhr er fort. Er fasste sein Schwert mit beiden Händen und machte einen Schritt nach vorn. Kaum hatte der Rabenkönig sein Schwert erhoben, da hob der Barde seine Arme und rief: „Du willst Unterhaltung? Wie wäre es damit?“. Eine wogende Wand aus Feuer glitt über die Gestalt des Rabenkönigs und schon im nächsten Moment verwandelte sich der Barde in seine Phoenix Gestalt und stürmte dem Feind entgegen. Mit atemberaubender Geschwindigkeit flog er durch die Luft und schlug mit seinem Feuerschweif zu. Zuschauer würden nur einen langen Blitz wahrnehmen, der Barde steckte seine ganze Wucht in diesen Angriff. Doch der Rabenkönig war Schlachten erprobt und ein erfahrenerer Kämpfer. Vom Feuer unberührt, wich dieser geschickt dem Schlag des Phoenix aus und holte nach einem weiten Ausfallschritt mit seiner Klinge aus. Diese Bewegung war so schnell, dass dem Phoenix nur Zeit blieb, sich ein Stück zu drehen, sodass die Schwertspitze nur einen Flügel traf. Getroffen stürzte der Phoenix zu Boden. Das Feuer erlosch und er nahm wieder menschliche Gestalt an. Voller Erschöpfung hielt er seinen blutenden Arm an sich gedrückt und versuchte aufzustehen, doch bereits im nächsten Moment, stieß ihn ein Tritt unsanft zu Boden. Das Schwert des Rabenkönigs drang nur wenige Zentimeter von seinem Kopf entfernt in den Boden ein und grollend sprach die tiefe Stimme des Rabenkönigs: „Nicht schlecht! Erfahrungsgemäß sind die meisten meiner Gegner nach dem ersten Hieb, bereits zu Schlamm geworden. Auch können sie keine großen Töne mehr spucken, sondern gurgeln nur unverständliches Zeug“, sagte er und gluckste dabei amüsiert. „Aber auch ein zweiter tut es“, sagte er. Der Rabenkönig packte den Barden am Kragen und hob ihn mit ausgestrecktem Arm in die Luft. Der Barde strampelte verzweifelt und schlug um sich. Doch bereits im nächsten Moment riss der Rabenkönig seine Klinge aus dem Boden und stieß zu. Der Barde spürte, wie der kalte Stahl in seine Brust eindrang. Das Eis verdrängte jeden Lebensfunken in ihm, presste ihm alle Luft aus den Lungen und er fühlte, wie sich das Blut in seiner Kehle sammelte. Gurgelnd nach Luft ringend und um sich strampelnd, hielt ihn der Rabenkönig weiterhin von sich gestreckt in der Luft. Er zog den Barden näher zu sich heran und flüsterte ihm ins Ohr: „Talfurt wird brennen! Seine Bewohner werde ich aufspießen lassen und mit ihnen die Mauern zieren.“ Er zog seine Klinge aus der Brust des Barden und warf diesen wie ein Stück Lumpen zu Boden.
Die freie Hand des Rabenkönigs glitt unter seinen Mantel und er zog ein kleines schwarzes Buch hervor. „Mal schauen, wo ist dieser Zauber doch gleich?“, murmelte er. „Ah, ja. Hier haben wir ihn ja. Wollen wir doch mal sehen, was du weißt und was sich dieser alte Narr sonst noch ausgedacht hat.“ Er machte eine kurze Geste und murmelte etwas Unverständliches. Der Barde spürte, wie die Präsenz des Rabenkönigs in seinen schwindenden Geist eindrang. Im Sterben liegend, fehlte ihm die Kraft, sich zur Wehr zu setzen und sein Geist und all seine Erinnerung breiteten sich unter dem Bewusstsein des Rabenkönigs aus. Seine Sicht wurde immer trüber und er fühlte kaum noch etwas. Seine Gedanken glitten zu seiner Liebsten. Unter Tränen versuchte er ihren Namen zu flüstern, doch es entrang sich ihm nur ein heißeres Gurgeln. Sein Kopf begann beinahe zu explodieren, als er spürte, wie sich das Bewusstsein des Rabenkönigs wieder entfernte. Eine Hand packte seinen Kragen und zog ihn hoch. Blinzelnd öffnete der Barde die Augen und starrte in die tiefglühenden Augen des Rabenkönigs.
Dieser begann boshaft zu grinsen. Der Mund öffnete sich und wie aus weiter Ferne hörte der Barde seine Worte: „So war das also! Jetzt erkenne ich, was der Alte getan hat. Weißt du was? Ich werde mir dein Herz holen, deine Liebste!“ Wütend entdeckte der Barde noch einen Funken Magie und er ergriff mit letzter Kraft das Handgelenk des Rabenkönigs. Angestrengt versuchte er, etwas zu sagen, aber er konnte nichts als Blut hervorspucken. „Richtig“, fuhr der Rabenkönig fort. „Ich werde in die Unterwelt hinabsteigen und mir deine Prinzessin holen. Ich weiß du wirst wiederkehren. Aber bis dahin werde ich meinen Spaß haben.“ Das Gesicht des Barden verzog sich voller Hass, doch im nächsten Augenblick wurden seine Züge bereits schlaff und sein Griff ließ nach. Die Hand löste sich und glitt zu Boden. Der Rabenkönig lächelte zufrieden und summte:
„Hast Du geglaubt, ich wäre nur ein dunkler Traum? Hast Du geglaubt, Deine Erlösung wäre nicht fern? Ich enttäusche Dich. Nur allzu gern!“
Epilog
Talfurt, einst eine blühende Stadt, wurde zum traurigen Symbol für die unbesiegbar scheinende Macht des Rabenkönigs. Nichts deutete mehr auf die einstige Pracht. Die Stadtmauern lagen in Trümmern, die Häuser der Bewohner waren nichts als verkohlte Überreste und tief inmitten der Stadt, an dem einst so schönen Marktplatz, türmten sich Berge von Leichen. Unter den bedrohlichen Augen der Schergen des Rabenkönigs, trugen die Überlebenden die Leichen ihrer Gefallenen über den Marktplatz und errichteten einen riesigen Scheiterhaufen.
Währenddessen thronte inmitten alldem der Rabenkönig. Er saß hoch erhoben auf einem Podest und sah mit zufriedener Miene dabei zu wie seine Siegesfeuer vorbereitet wurden. Er faltete seine Finger ineinander und begann seine nächsten Pläne zu schmieden. Die Jahreszeiten zogen über das Land und die wenigen Überlebenden schworen dem Rabenkönig die Treue. Sie errichteten ihm ein Schloss, direkt zu Füßen des einst so schönen Talfurts. Die Zukunft der wenigen, welche dem wachsenden Einfluss des Rabenkönigs entkamen, war ungewiss. Es kam der Tag, an dem die Fertigstellung des Schlosses endlich abgeschlossen wurde. Da schritt der Rabenkönig über eine lange Treppe auf die Spitze seines höchsten Turmes. Oben angekommen ging er zum Rand der Zinnen, nahm das schwarze Buch zur Hand und hob langsam seine Arme empor. Er begann einen mächtigen Zauber zu weben. Der Himmel verdunkelte sich und der Zauber begann alles außerhalb des Schlosses mit Eis zu überziehen. Dieses Eis war so dicht und mächtig, dass selbst die wärmenden Strahlen der Sonne es nicht mehr durchdringen konnten. Die überlebenden Bewohner von Talfurt waren nun in ewiger Dunkelheit gefangen. Tief unter dem Eis, von einem mysteriösen alten Mann entfacht, brannte ein kleines Feuer. Der Mann warf etwas ins Feuer und es begann laut zu zischen. Er richtete ganz langsam eine zitternde Hand über die Flammen und sprach:
„Ich habe dich erschaffen…“